In den Tiefen des Gehirns

Prof.Wolfram Schultz referiert im Rhön-Gymnasium über Neuronen und Belohnungen

Von SIGRID BRUNNER

BAD NEUSTADT „Gute Gangster kehren an den Ort ihres Verbrechens zurück.“ Mit humorvollen Worten startete Wolfram Schultz seinen Vortrag am Rhön-Gymnasium. Der Professor für Neurowissenschaften an der Universität Cambridge absolvierte 1964 an der Schule sein Abitur. Auf Einladung der Freunde des Rhön-Gymnasiums sprach er am einstigen „Tatort“vor zahlreichen Schülern, Lehrern und weiteren Interessierten zum Thema „Das belohnte Gehirn“.

Sowohl Schulleiterin Dr. Kerstin Vonderau als auch Siegfried Voll, Vorsitzender des Fördervereins, freuten sich, den hochkarätigen Wissenschaftler in Bad Neustadt begrüßen zu können. Der Verein der Freunde des Rhön-Gymnasiums  lädt regelmäßig ehemalige Schüler ein, von ihren beruflichen Erfahrungen zu erzählen.

Schultz beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit ein Handeln mit der Erwartung einer Belohnung verbunden ist. Dazu hat der Forscher, der Mitglied der renommierten britischen Royal Society ist, im Gehirn befindliche Neuronen untersucht. Diese reagieren mit der Ausschütung des Botenstoffes Dopamin, wenn sie Positives erwarten oder erhalten. Sie aktivieren ein weit verzweigtes Netz aus Nervenzellen und beeinflussen mit, dass Menschen nach immer größeren Belohnungen streben. Mit seinen Erkenntnissen hat Wolfram Schultz wesentlich dazu beigetragen, Mechanismen im Gehirn zu verstehen, die zu Spielsucht, Drogensucht oder Alkoholismus führen können. Dafür erhielt er 2017 mit zwei weiteren Wissenschaftlern den hoch dotierten „BrainPrize“.

Wolfram Schultz schilderte einen Abend im Pub nach getaner Arbeit. Mehrere Sorten Bier, mit denen man seinen Durst stillen und sich für das Tagewerk belohnen möchte, stehen zur Wahl. Anhand der Etiketten sucht man sein Bier aus. Durch vorherigen Genuss hat man gelernt, welches Bier schmeckt und welches nicht. Nach den Anstrengungen hat man etwas Gutes verdient und muss zudem dem Körper Energie zuführen.

Was zeigt dieses Beispiel und was verstehen wir unter Belohnung? Zum Überleben braucht der Körper Substanzen aus der Umgebung, die er mit Nahrung und Flüssigkeit bekommt. Hinzu kommt die Fortpflanzung zum Erhalt der Menschheit. „Diese drei Belohnungen sind absolut notwendig“, betonte der Wissenschaftler. Die Weitergabe der Gene sicherzustellen, ist eine Hauptaufgabe des Gehirns.

Wie reagiert der Organismus auf eine Belohnung? Auch hier hatte Schultz eine witzige (fiktive?) Anekdote parat: Für seine Weihnachtswunschliste kann er zwischen einem Thriller und einem Liebesroman wählen. Er entscheidet sich für Letzteren und teilt dies seiner Frau mit. An Weihnachten ist die Enttäuschung groß. Unterm Baum liegt ein Roman von John Grisham. Die erwartete Freude bzw. Belohnung fällt aus. Der Partner hat den Weihnachtswunsch vergessen. Was lernt der biologische Organismus daraus? „Er vermeidet künftig Partner, die an Gedächtnisstörungen leiden“, so die Antwort. Oder anders gesagt: Mit einem besseren Gehirn bekommt man eine bessere Chance auf eine Belohnung bzw. zum Überleben.

Wolfram Schultz führte das bekannte 100 Jahre alte Experiment des russischen Forschers Pawlow mit Hunden an. Ein Hund sieht eine Wurst und sondert Speichel ab. Nachfolgend ertönt zwei Sekunden vor dem Zeigen der Wurst eine Glocke. In Erwartung der Wurst erfolgt der Speichelfluss, ohne dass diese zu sehen ist. Die Glocke hat eine Belohnungsfunktion erhalten. „Belohnungen lösen positive Emotionen, Wohlbefinden und Glücksgefühle aus.“ Und man will mehr davon.

Was passiert in diesem Moment im Gehirn? Im Mittelhirn befinden sich Neuronen, die Dopamin freisetzen. Die Dopaminzelle antwortet auf Belohnung, indem sie vermehrt Aktionspotenziale abgibt. Diese Aktionspotenziale sind Träger von Informationen, die an andere Neuronen weitergeleitet werden. Das wurde bei Tieren intensiv untersucht und die Ergebnisse sind messbar. Die Dopaminneuronen reagieren nicht nur, wenn das Tier eine Belohnung erhält, sondern auch wenn ein Reiz diese voraussagt. Je höher die Belohnung ist, desto stärker fällt die Antwort aus. Die Erregung von Dopaminneuronen führt schließlich zu belohnungssuchendem Lernverhalten. Dopaminneuronen bilden demnach im Gehirn ein Zentrum, das unser Verhalten gegenüber Belohnungen steuert und hilft zu lernen, Belohnungen zu finden.

Substanzen, die abhängig machen wie Drogen, Alkohol oder Nikotin, laufen über das Dopaminsystem, erklärte Wolfram Schultz weiter. Die Neuronen werden von Kokain, Amphetamin etc. erregt, als ob diese Substanzen natürliche Belohnungen wären und je größer die Belohnung ausfällt, umso größer die Erregung.

Das unnatürliche Dopaminsignal erzeugt schließlich eine starke Annäherung an diese Substanzen, was ab einem gewissen Punkt in vielen Gehirnen zur Sucht führen kann. Mögliche Mittel dagegen seien, so Schultz, Bildung, Kultur, Erziehung und Ablenkung. „Wir brauchen Ausbildung und Informationen, um durch die Komplexität des Lebens zu kommen.“ Ohne diese „gebundene Rationalität“ würden Entscheidungen zunehmend irrational werden. Zusätzlicher oft vermeintlicher Zeitdruck verschlechtere Entscheidungen weiterhin.

Höhere Belohnungen erfordern aber auch ein gewisses Maß an Mut zu Neuem. Die Belohnungsrate steige, wenn man gelegentlich von üblichen Gewohnheiten abweicht und etwas ausprobiert, sagte Wolfram Schultz. Bei mehr als einem Prozent bis maximal 10 Prozent der Entscheidungen sollten bekannt gute Wege verlassen und Neues erkundet werden.

Text und Bild erschienen in der Rhön und Saale Post am 14.11.2018