Das Mittelstufentheater des Rhön-Gymnasiums inszeniert sehenswert die Lügengeschichten des Barons Münchhausen
von Stefan Kritzer
Die Lügengeschichten des Barons Münchhausen sind Legende. Was aber passiert, wenn ein solch sprichwörtlicher Lügenbaron durch die Jahrhunderte reist und schließlich auf den berühmtesten Psychoanalytiker aller Zeiten trifft? Das Mittelstufentheater des Rhön-Gymnasiums hat die Geschichte des Barons Münchhausen aus der Zeit der Aufklärung bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts gedehnt und seine Lügen in neue Zusammenhänge verpackt. Heraus kam eine ebenso spannende wie kulturhistorisch gänzlich neue Version des Barons, der einst sogar auf einer Kanonenkugel geritten sein soll.
Als Vorlage für das Stück „Münchhausen – Die Wahrheit über das Lügen“ haben die Schülerinnen und Schüler des Rhön-Gymnasiums aus der Graphic Novel von Flix und Bernd Kissel übernommen und auf die Bühne der Turnhalle gebracht. Das zweieinhalb Stunden lange Stück boten mehr als 50 junge Schauspielerinnen und Schauspieler so kurzweilig dar, dass sogar noch Zeit für den Auftritt einer kleinen Band blieb. Nicht zum ersten Mal haben es die Lehrkräfte Arno Weidinger und Andreas Meier geschafft, die große Theatergruppe unter einen Hut, und hervorragendes Schülertheater auf die Bühne zu bekommen.
Im erschrockenen London des Zweiten Weltkriegs baumelt eines Tages ein sonderlicher Herr an der berühmten Uhr des Big Ben. Baron Münchhausen (Lisanne Scherer) war dort nach einem Ballonflug unsanft gelandet. Weil der zuständige Geheimdienst ihm diese Geschichte aber nicht abnimmt, wird der im Londoner Exil lebende Psychoanalytiker Sigmund Freud (Klara Pretscher) mit der Aufarbeitung des seltsamen Falles betraut. Freud nimmt sich Zeit für Münchhausen und lässt diesen auf seiner Couch Platz nehmen. Was er dann aber für Geschichten zu hören bekommt, verschlägt sogar dem namhaften Experten den Atem. Und den Glauben an den gesunden Menschenverstand.
Dabei ist die Geschichte des Barons Münchhausen durchaus tragisch, wenigstens in der angedichteten Version. Die historische Person des Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen (1720-1797) aus Bodenwerder an der Weser hatte mit diesen Geschichten im wahren Leben nämlich überhaupt nichts zu tun. Doch das ist heute kaum mehr bekannt. Viel mehr bekannt ist Münchhausen als der Mann, der einmal einen achtbeinigen Hasen hat davonlaufen sehen, der sein Pferd an einem Eisenpfahl festband und, als der Schnee geschmolzen war, erschrocken feststellte, dass sein geliebtes Pferd an einer Kirchturmspitze hing und nur mit einem gezielten Schuss aus der Muskete „gerettet“ werden konnte. Das alles und natürlich auch der legendäre Ritt auf einer Kanonenkugel wie auch der Aufenthalt im Bauch eines Wals oder der Flug zum Mond, wo es die besten Erdbeeren gibt, musste sich der erstaunte Sigmund Freud anhören.
In Rückblenden und mit insgesamt drei jungen Münchhausens (Sophia Baumgart, Xenia Rohe und Klara Büttner) hangelte sich der Lügenbaron durch die Zeitgeschichte. Er erlebt den Schicksalsschlag mit dem Verlust der Familie, Wanderjahre, Fraueneroberungen und vieles mehr, natürlich alles basierend auf einem Konstrukt aus Lügen. Im Ersten Weltkrieg will er im Stellungskrieg seine Kameraden mit dem Ritt auf der Kanonenkugel retten, doch auch das geht gründlich schief. „Nur weil es noch niemand gemacht hat, heißt nicht, dass es unmöglich ist“, behauptet Münchhausen immer wieder. „Sie lügen mich von vorne bis hinten an“, wettert der ungläubige Sigmund Freud. „Es ist immer die gleiche Masche, Herr Baron!“
Angekommen im London des Zweiten Weltkrieges zieht sich die Schlinge um Münchhausens Hals aber enger, ein tragisches Ende naht. „Das Falsche ist oft die Wahrheit, die auf dem Kopf steht“, sagt Sigmund Freud in der Erkenntnis, diesem Patienten auf der Couch nicht helfen zu können. Schlusspunkt eines ebenso eindringlichen wie lustigen Theaterspiels, das vom ersten bis zum letzten Moment von der Spielbegeisterung der Mitwirkenden lebt. Heraus kam eine etwas andere Darstellung des berühmten Lügenbarons, die dem Mittelstufentheater überaus sehenswert gelang und zu recht vom Publikum mit minutenlangem Beifall bedacht wurde.
Text: Stefan Kritzer
Bilder: Andreas Maier