TRISTAN

Der Tragödie einz’ger Teil

in faustischen Versen frei nach
Gottfried von Straßburg
von
Matthias Eichele
 

Der Anlass

Drei Zitate haben das Geschick der diesjährigen Aufführung des Ensembles des Rhön-Gymnasiums geprägt.

Eins.
“Was gibt denn Wagner sonst noch so her?”

Zwei.
“Die gereimten Verse müssen zurück auf die Bretter der Stadthalle!”

Drei.
“Wer mir einen Helden zeigt, dem zeige ich eine Tragödie!”

Eins.

"Was gibt denn Wagner sonst noch so her?"

fragte Johanna in die abendliche Pool-Runde während der Studienfahrt nach Katalonien und Barcelona.

Nach "RING" und "MEISTERSINGER" als Paraphrasen Wagnerscher Werke für Sprechtheater hatten die Plots des spätromantischen Komponisten offenbar Eindruck gemacht.

Im Schnelldurchlauf wurde den Barcelona-Fahrern einige übriggebliebene Werke des leipziggeborenen Bayreuther Meisters referiert.

PARSIFAL wäre was gewesen, die Thematik fand allerdings wenig Widerhall im Kreise der Anwesenden, die in diesem Augenblick ihr Glas wohl nicht gerne gegen den Heiligen Gral ausgetauscht sehen wollten.

Bei Nennung des TRISTAN aber gingen plötzlich alle in Habachtstellung. Vielleicht, weil da ein aphrodisierender Trank eine nicht unerhebliche Rolle spielt?

Immerhin ist nicht zuletzt durch die jüngere Verfilmung des Stoffes durch Kevin Reynolds (Regie) und Ridley Scott (Produktion) mit James Franco und Sophia Myles in den Hauptrollen das Sujet auch einem jugendlichen Publikum nicht unvertraut. Doch mehr als dies: Annelie sprang sogleich auf und hielt aus dem Stegreif ein Referat, das sie kurz zuvor zum TRISTAN für den Unterricht vorbereitet hatte. Die Zustimmung war groß, der TRISTAN wurde per Dreifachhandreichung beschlossen.

Allein Wagners gewaltige Bearbeitung der Sage des tragischen Liebespaares par excellence gibt für über dreißig Schauspieler und ein actiongewohntes Publikum vielleicht doch nicht genug her, ist es schon sehr geprägt von viel innerem Monolog und scheinbar endlosen Liebesbeteuerungen zwischen dem bretonisch-britischen Helden Tristan und der unfreiwillig mit dessen Onkel verheirateten irischen Prinzessin Isolde. Eine Neuschöpfung unter Verwendung non-Wagnerscher Quellen war zu erwägen.

 

Zwei.

"Die gereimten Verse müssen zurück auf die Bretter der Stadthalle!"

postulierte einst Lisa, unser diesjähriger Tristan.

Sie bezog sich auf unsere Faust-Produktion 2008, die auf DVD am Rhön-Gymnasium von mehreren Kollegen im Unterricht eingesetzt wird. Nun spielen wir zwar dieses Jahr nicht mehr in der Stadthalle, da es bei den Vorplanungen letzten Sommer hieß, diese würde heute bereits der Renovierung bzw. dem Neubau anheim gefallen sein.

Doch die Burglauerer Bretter, die die Welt bedeuten, stehen jenen der Stadthalle in nichts nach, und Lisas Forderung hat auch hier Bestand. Verse sind ästhetisch und bringen die Herausforderung, eben nicht versmäßig, sondern in natürlichen Bögen sie vorzutragen, so dass man den Reim kaum mehr spürt. Allein: Woher ein gereimtes Stück nehmen, das dreißig und mehr Schauspielern die Möglichkeit bietet, ausreichend ververst zu Wort zu kommen? Ein weiterer Anlass zum Nachdenken über ein eigens dem Ensemble auf den Leib geschneidertes Stück - in Reimform.

 

Drei.

"Wer mir einen Helden zeigt, dem zeige ich eine Tragödie!"

Dieses Zitat stammt von einem etablierten Literaten: So behauptete es nicht zu Unrecht der US-amerikanische Schriftsteller F. Scott Fitzgerald.

Der Held war gefunden, und kombiniert mit der Bedingung unserer "großen" Isolde Viki, den im Wesentlichen komödiantischen MEISTERSINGERN habe gefälligst etwas rein (!) Tragisches zu folgen, stand endlich der Plan endlich fest. Die Konsequenzen und die Bürde des Anblicks von nicht unerheblich vielen Toten müssen leider Sie, verehrtes Publikum, heute tragen:

Eine gereimte Tragödie mit Bezug zu Wagner.

 

Das Werk und seine Quellen

 

Eine literaturwissenschaftliche Betrachtung zu den Quellen ist hier sicherlich fehl am Platze. Zumindest aber soviel:

Seit man in Südwestengland nahe Fowey/Cornwall die Überreste der spätantiken/frühmittelalterlichen Ringwall-Anlage Castle d'Or (auch Castle Dore) kennt und nahebei um 1602 einen Grabstein mit der Aufschrift "DRVSTANVS HIC IACIT CVNOWORI FILIVS" (das D spiegelverkeht) endeckt hatte, gilt Tristan auch heute manchen Wissenschaftlern als historisch belegt und der puren Sagenwelt entwunden. Wie auch König Marke (Marcus), der - typisch für die Zeit - einen lateinischen Namen führte, dessen ursprünglicher aber Cunomor oder Cunowor (Gälisch: Cynfawr) gelautet haben mag.

Ein delikates Detail ist also die angenommene Tatsache, dass Tristan Markes Sohn gewesen sein könnte. Spätere literarische Aufarbeitungen des Stoffes, der immerhin den Betrug des Jüngeren am Älteren mit dessen Frau behandelt, entschärfen denn die Brisanz der Angelegenheit, indem sie aus dem Sohn zumindest den Neffen werden lassen.

Alle anderen Spuren in der Gegend, die beispielsweise auf Isoldes Kirchgänge in St. Sampson, Golant, hinweisen, sind da schon viel weniger fassbar.

Zeitlich zu verorten ist das Geschehen im 5. Jahrhundert, also in der Ära der Völkerwanderung, und fällt somit zusammen mit den Sagenkreisen um den legendären König Artus oder auf dem Kontinent um Dietrich von Bern (Theoderich d. Große) oder König Etzel (Attila) und das Nibelungen-Epos.

Die Römer sind im Rückzug aus dem heutigen südlichen England begriffen, die ersten christlichen Missionare fassen Fuß auf den Britischen Inseln und kommen in Konflikt mit der keltischen Götterwelt, fremde Stämme brechen von allen Seiten nach Britannien ein.

Eine dunkle Zeit, in der Unsicherheit und Identitätsverlust gerade in Irland wie in Cornwall Triebfedern für die Suche nach hellen Führungsgestalten und Helden sind, die, wie Tristan und Artus, möglicherweise aus historischen Keimzellen entstanden waren, zunächst dann Einzug in das Sagenreich gehalten hatten und schließlich in die Literatur eingingen.

Literarisch ist der Tristan-Stoff in Frankreich (Béroul, Chrétien de Troyes) und England (Thomas d'Angleterre) um 1160/70 nachweisbar bzw. vermutet, eine erste deutsche Fassung erstellte wohl Eilhart von Oberg zur selben Zeit.

Doch erst Gottfried von Straßburg, über den wir wenig mehr wissen als seinen Vornamen und sein Sterbedatum 1210, gelang mit seinem fast 20.000 Verse vereinenden, mittelhochdeutsch abgefassten, sehr eigenständigen und interpretierenden Roman einer der großen Würfe der Weltliteratur, parallel zu Wolfram von Eschenbachs "Parzival".

Beide Werke wählte sich dann Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts Richard Wagner als Quellen für seine Musikdramen "Tristan und Isolde" und "Parsifal".

Besonders in der Musik zum Tristan lotete Wagner Grenzen aus, die bis dahin in der Musikgeschichte unüberschritten waren. Harmonische Mehrdeutigkeit, schillernde Chromatik und innovative Instrumentationstechnik ließen dieses Werk wegweisend für die Moderne werden. Einige Kostproben werden heute Abend - in unserer Version - zu Gehör gebracht werden.
Inhaltlich konzentrierte sich Wagner allerdings in eigentümlicher Deutung allein auf die Beziehung der beiden Liebenden, während in Gottfrieds Roman diese nur eine, wenn auch gewichtige, Episode darstellt. Der mittelalterliche Poet konfrontiert uns mit der gesamten Bandbreite eines Heldenlebens, einschließlich kompletter Biographie, Zaubertrank, Drachenkampf und der Suche nach dem Liebesglück an weiterer Stelle (auch, wenn diese Suche ebenfalls bei einer - weiteren - Isolde endet).

Unsere Fassung orientiert sich dramaturgisch an Gottfried, nicht an Wagner, und mag vielleicht als Psychogramm eines unfreiwilligen Helden gelesen werden. Oder auch nur als eine bunte, turbulente, tragische Heldengeschichte. Dies bleibt dem geneigten Publikum überlassen.

Das Stück entstand innerhalb eines Jahres, von Juli 2012 bis Juli 2013, in Platja d'Aro, Katalonien, in Dublin und Clifden, Irland, in St. Wolfgang am Wolfgangsee, Österreich, in Berlin und dem Marktcafé Bad Neustadt 😉

 

 

Der Dank

 

Wir bedanken uns herzlich bei allen 31 (!) Abiturienten, die, sozusagen als letzte Amtshandlung, selbst nach Verlassen unserer Schule dem Ensemble die Treue halten, wie sie es teilweise seit Jahren getan haben (Monique, unser "dienstältestes" Mitglied, war bereits in der 3. Klasse 2004 mit an Bord!) und heute mit dabei sind. Ich persönlich sehe Euch mit mindestens einem weinenden Auge ziehen...

Kalina Nennstiel, Heiko Gräfenschnell, Jessica Haupt, David Troost, Laura Smolorz, Alexandra Smolorz, Ellena Herchet, Andrea David, Sebastian Biller, Hendrik Rahm, Mariella Dietz, Magdalena Haßelbacher, Sandra Kröll, Anne Schiermeyer, Verena Holzheimer, Mirjam Eckert, Kristina Schmelmer, Johanna Schmitt, Annabelle Lenhardt, Mirjam Eckert, Monique Wappes, Christina Härter, Lisa Janyssek, David Eckhardt, Cedrik Thiel, Felix Wolf, Juliana Nöth, Annelie Erhard, Simon Heuring, Lena Giglhuber, Franziska Schmitt: May the wind be always at your back!

 

Weiterhin bedanken wir uns bei unserer Schulleitung, die uns stets den Rücken freigehalten hat, und dem Kollegium, das den gewaltigen Eingriff ins normale Schulleben meist mit wohlwollender Unterstützung, zumindest aber stets mit bemerkenswerter Fassung mit trug.

Auch beim Gymnasium Mellrichstadt bedanken wir uns herzlich, besonders bei Herrn Steinrichter, für die Hilfe und die Bereitstellung des Ton-Equipments.

 

Ein nächstes ausgeprägtes Dankeswort an den Elternbeirat, allen voran Frau Seidel und Herrn Leber, sowie den Verein der Freunde des Rhön-Gymnasiums, vertreten durch Herrn Voll, für ihre unermüdliche Mitarbeit und ihre Kooperation mit unserer Johanna in Bezug auf die Finanzierung unseres Projektes durch Sponsoren.

 

Ganz persönlich möchte ich mich bedanken bei Frau Manuela Groß-Lotz, deren psychologische Beratung (nicht für mich, sondern für meine Hauptfigur als "Patienten"...) mir wesentliche Impulse bei der Entwicklung meines Tristan gegeben hat.

Ebenso großen Dank an Dominik Klein, der auch dieses Jahr wieder von ABBA bis Wagner alles unterfrankenfreundlich bläseresk hingebogen hat, was es zu biegen gab.

Der Nixen-Song am Anfang des zweiten Aufzugs ist eigens von Benedikt Behnke für die Produktion komponiert worden. Auch ihm ein ganz herzliches Danke!

 

Schließlich einen sehr heißes Dankeschön der Gemeinde Burglauer und ihrem Bürgermeister, Herrn Back sowie dem VFB Burglauer, insbesondere Frau Schneider. Ohne die freundliche, hilfsbereite und tolerante Aufnahme in die lokalen "Heiligen Hallen" hätten wir dieses Jahr wohl eine Freilicht-Aufführung inszenieren müssen. Wir wissen sehr wohl, dass es nicht selbstverständlich ist, eine so große Horde für 14 Tage zu beherbergen, zumal sie nicht aus dem Ort ist, und sind sehr froh über das uns entgegengebrachte soziale Engagement!

 

Ein letztes und ungemein wichtiges, persönliches Dankeschön geht an meine beiden Lichtgestalten: St. Jassi, die Heilige der Textgeister, und St. Jeanni, der Engel über den Wassern des Chaos. Ohne Euch wären wir alle verlorene Seelen. Und ich ganz besonders.

 

Matthias Eichele für das Ensemble

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