Ja, Latein ist ein anspruchsvolles Fach. Aber spricht das gegen Latein? Nein, im Gegenteil: Kinder werden in einer Phase, in der sie ihre geistigen Kräfte entfalten, gefordert und trainiert. Sie lernen beizeiten in einem zumutbaren Rahmen, Schwierigkeiten zu meistern.
Entwicklungspsychologen haben festgestellt, dass sich bei Kindern der Übergang vom konkreten zum formalen Denken zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr vollzieht. Latein als 1. Fremdsprache kommt dem sehr entgegen. Gerade in unserer heutigen Zeit erscheint es wichtiger denn je, analytisches und problemlösendes Denken verstärkt zu trainieren. So wichtig die neuen Medien sind, die eigentliche geistige Arbeit beginnt dort, wo ‚heruntergeladene’ Texte kritisch beurteilt werden sollen.
Durch das Lernen lateinischer Vokabeln erweitern die Schülerinnen und Schüler ihren deutschen Wortschatz beträchtlich. Auch wird häufig erst durch das Fach Latein die deutsche Grammatik gründlich gelernt. Zudem werden die Ausdrucksfähigkeit gefördert und die Lesefähigkeit verbessert. Eine statistische Untersuchung der Universität Köln belegt dies eindrücklich.
Die Latein Lernenden denken über Sprache nach. Durch die Beschäftigung mit der antiken Literatur, die bewusst rhetorisch gestaltet ist, werden die Jugendlichen in die Lage versetzt, Stilmittel und Rhetorik zu erkennen, selbst zu verwenden und auch gegen Täuschungs- und Überredungsstrategien besser gewappnet zu sein.
Latein ist die Muttersprache vieler europäischer Sprachen und ermöglicht deren raschen Erwerb. Nicht nur die romanischen „Töchter“ Italienisch, Spanisch und Portugiesisch sowie Französisch und Rumänisch gehen direkt auf die Sprache der Römer zurück, sondern auch im englischen Wortschatz hat ein sehr großer Anteil der Wörter einen lateinischen Ursprung. Erwin Wolff, Professor für Englisch, antwortete auf die Frage, warum er für Latein als 1. Fremdsprache plädiert: „Der Fortschritt und die Zukunft der Europäischen Union macht es noch dringlicher, dass wir uns der gemeinsamen Wurzeln bewusst werden und bleiben. Da fängt man im Unterricht am besten nicht mit einem oberen Ast des Baumes (Englisch), sondern mit der Wurzel (Latein) an.“
Zu unserer abendländischen Kultur gehören Philosophie, Geschichte, Kunst, Religion, Politik und Literatur der römischen Antike. Daher pflegen wir unsere geistig-kulturellen Wurzeln, wenn wir uns mit der lateinischen Sprache befassen. Diese Beschäftigung sollte für uns mehr bedeuten als ‚nur’ ein schönes Hobby oder eine anstrengende Pflichtübung. Es ist vielmehr ein unverzichtbarer Akt kultureller Selbsterfahrung, sein Erbe kennen zu lernen, zu pflegen und weiterzugeben. So sind die Kenntnisse antiker Mythologie oft Voraussetzung für den Zugang zu moderner Literatur und Kunst, zu Theater und Oper.
Latein schafft für zahlreiche Studiengänge und Berufe nützliche und zum Teil notwendige Voraussetzungen. Dazu gehören Theologen, Philosophen, Historiker, Sprach- und Literaturwissenschaftler, aber auch Biologen, Juristen, Mediziner und Gymnasiallehrer. Für Magister- und Doktorarbeiten ist das Latinum oft Bedingung.
Zu diesen gehören Konzentration und Ausdauer, Genauigkeit und Gefühl für Strukturen, die Fähigkeit, sich Neues und Fremdes anzueignen und seine Ergebnisse in klarer Sprache und gedanklicher Gliederung auszudrücken; all das sind Kompetenzen, für die ehemalige Lateinschüler – nicht nur in der Führungsebene – geschätzt werden.
Latein hat, wie der hohe Anteil der lateinischen Fremdwörter zeigt, die internationalen Fachsprachen stark beeinflusst, z.B. progressiv, konservativ, Tradition, Republik, Koalition, Server, Access, Office, Konsum, Transplantation, Pessimist, Optimist.
Schülerinnen und Schüler haben oft – besonders mit Latein als 1. Fremdsprache – Freude an den Inhalten und der intellektuellen Herausforderung. Neuheit und Fremdheit des Lateinischen sind für sie häufig besonders attraktiv.